Erwartungen

Weißt du, dass du ein Geschenk bist? Weißt du, dass dein Leben ein Geschenk ist an dich? Wenn du auch so viel Widerstand gegen diesen Satz hast, dann lies weiter.

Manche Wesen sind ja eindeutig Geschenke: der oder die Liebste, die eigenen Kinder, ein Welpe oder ein besonders süßes Baby. Klarer Fall, check, Geschenk. Das merkst du daran, dass ihr Anblick dich sofort ins Hier und Jetzt holt und zum Lächeln bringt, egal in welchem Film dein Verstand gerade war.

Leicht zu verstehen, weil Geschenke kennt man, tolle Geschenke auch. Die machen glücklich, so einfach ist das.

Aber wen mache ich selbst glücklich, nur weil ich existiere? Und wenn mein Leben ein Geschenk an mich ist, warum fühlt es sich dann immer wieder so mies an? Hab ich einen Baufehler? Bin ich unterwegs missraten? Habe das Leben-Dingens irgendwie verbockt?

Ich will mein Leben nicht als Geschenk sehen, weil es meine Erwartungen nicht erfüllt. Ich hab mir das anders vorgestellt, größer, bedeutender, wichtiger. Ich hab so viel gegeben und so viele Erwartungen erfüllt, mit einem riesigen Anspruch an mich selbst, weil ich davon ausgegangen bin, dass das Leben so funktioniert.

Du machst Sachen gut, jemand lächelt oder gibt dir eine Eins oder zahlt dir Gehalt oder heiratet dich oder wird dein braves Kind. So geht das.

Oder?

Tja, es sieht nicht danach aus. Das höre ich allerdings noch weniger gern als die Sache mit dem Geschenk. Denn Leute, Erwartungen zu erfüllen ist so ANSTRENGEND! Und es ist nie fertig. Wirklich nie. Ich dachte ja noch lange, bald isses soweit und die Belohnung kommt, aber mittlerweile sind die ersten Gleichaltrigen gestorben (ob mit oder ohne erfüllte Erwartungen kann ich leider nicht sagen), und es stellt sich ein Gefühl der Zeitknappheit ein.

Dabei sind Erwartungen ein wichtiger Teil des Lebens. Erfüllst du gar keine, verlierst du deinen Job wieder und wieder, Freunde, Partner und deine eigenen Kinder wenden sich enttäuscht von dir ab und du sitzt ganz allein mit deinem Stolz, deinem Trotz und deiner Bockigkeit herum. Eine Lösung ist das genau so wenig.

Heute jedenfalls bin ich echt erledigt. Es fühlt sich wie eine erdrückende Last an, all diese Erwartungen all diese Jahre lang. Ich bin müde und frustriert und finde alles zu viel.

Aber es gibt einen Hebel, den ich jederzeit umlegen kann. Und der lautet: Nimm das Geschenk an. Das Leben mit allen Macken und Fehlern, dich selbst mit deinen Unzulänglichkeiten und deiner Hoffnung, den Irrweg, der dich bis hierher geführt hat. Jetzt gerade ist das Leben ein Geschenk. Weil du zum Beispiel einen schönen Blog liest. Weil jemand, den du sehr magst, an dich denkt. Weil der Tag alle Möglichkeiten für dich bereit hält, und wenn es nur lauter Kleinigkeiten sind, die du selbst gestalten kannst.

Du kannst aussuchen, was du in deiner Mittagspause machst, und mit wem. Was fühlt sich gut an? Du entscheidest, wie du deine Arbeit angehst. Nimmst du allen die Arbeit ab? Delegiere. Lässt du alles liegen und verschiebst? Mach einen kleinen ersten Schritt. Du weißt selbst, was du brauchst.

Also hör auf zu erfüllen, was du glaubst von dir erwartet wird und mach einen Realitätscheck: was ist möglich? Was ist (wirklich) dein Job? Was würde schlimmstenfalls passieren, wenn sich ein Termin verschiebt, weil du jemanden nicht erreichst? Lass die anderen ihren Job machen, selbst wenn es etwas später wird, oder nicht haargenau so, wie du es tun würdest. Es ist okay. Es ist gut genug.

Hör auf dich zu sperren gegen mögliche Erwartungen, die nur in deiner Fantasie existieren und fang an, andere mit milden Augen zu betrachten: wer mit dir arbeiten oder ein Kind großziehen will, ist nicht dein Feind. Er oder sie mag dich und möchte etwas mit dir machen. Es ist eine Hand, die sich dir entgegenstreckt. Nimm sie an und geh dem anderen ein Stückchen entgegen.

Das ist dein Moment. Mach was draus.