Zu kurz gekommen I
Das passiert, wenn wir glauben wir wären zu kurz gekommen:
Wir glauben – wir sind uns ganz sicher – wir hätten von irgend etwas nicht genug bekommen. Liebe, Wertschätzung, Geld, Unterstützung, Schönheit, Größe, Talent.
Wir glauben, jemand (Vater, Mutter, Lehrer, Chefin, Partner, Gott) hätte uns das absichtlich verweigert. Vorenthalten.
Wir sind direkt wütend auf denjenigen oder diejenige. Selbst auf Gott. Aber meist beginnt es mit den Eltern und führt dann überall hin. Unsere Freunde kümmern sich nicht genug, unsere Geschwister waren im Vorteil, die Regierung gibt uns nicht was wir verdient haben, oder nimmt uns weg was wir behalten wollen. Steuerhinterziehung und so?
Wenn wir das glauben, sind wir dauernd im Groll. Wir sind missgünstig und neidisch auf andere. Wir ziehen uns bockig zurück und verweigern uns. Wir geben nicht, denn erst wollen wir haben.
Wir fühlen uns im Recht.
Aber glücklich sind wir nicht, wir verlieren Beziehungen und werden auch nicht reicher. Je mehr wir ans zu kurz gekommen glauben, desto mehr kommen wir tatsächlich zu kurz.
Der Fehler liegt in der Denkkonstruktion. In der Formulierung steckt schon ein Vorwurf. Etwas wurde verteilt, und ICH habe es nicht / zu wenig davon bekommen.
Ab dem Moment laufen wir herum und suchen Schuldige für unser mieses Gefühl. Sie sind leicht zu finden, denn Menschen, die einem nicht geben was man will, gibt es an jeder Ecke. Noch mehr dann, wenn man nicht fragt.
Es gibt ganze Kulturen, die das zelebrieren.
Nachdem es auch immer schon Menschen gab, die andere ausbeuten, ist das auch total verständlich. Es gibt sie, die Opfer von Ausbeutung, und es gibt Ausbeutende, denen es überhaupt nichts ausmacht, wenn in der Bugwelle ihrer Lebensentscheidungen andere deutlich zu kurz kommen.
Trotzdem ist es eine Sackgasse, wenn Menschen in diesem Gefühl steckenbleiben.
Im Umgang mit der Welt und andern Menschen tragen sie ein dickes Minuszeichen im Herzen und verlangen von anderen, besonders den vermeintlich Reichen (oder vermeintlich Schuldigen), dieses Konto entgangener Zuwendungen erstmal aufzufüllen. Vorher ist von ihnen gar nichts zu erwarten.
Und wird das nicht anerkennt, dann fühlen sie sich im Recht, zu urteilen und zu bestrafen, wie es ihnen sinnvoll erscheint, und wen sie als schuldig oder ungerechtfertigt besser gestellt betrachten.
Leider funktioniert das überhaupt nicht. Andere haben keine Lust auf Vorwürfe und Jammerei. Sie lassen sich ungern beschuldigen dafür dass es ihnen gut geht.
Also, egal was du oder ich so an „zu kurz gekommen“ Leichen im Keller haben – Liebe, Geld, Lob – niemand wird dir das je auffüllen. Tu es selbst und lass die Vergangenheit los.
Alle haben das erlebt. Niemand kann Gerechtigkeit einfordern vom Leben oder den eigenen Eltern. Wir alle haben von irgendwas zu wenig bekommen. Aber wir sind hier, und wir entscheiden selbst, ob wir dem ein Leben lang nachhängen wollen.
Oder ob wir einfach mal die Augen aufmachen, nach vorne schauen und uns freuen auf das, was wir alles haben können.
Wenn wir mal fragen, wenn wir freundlich zu anderen sind, wenn wir zuhören, wenn wir geben, wenn wir annehmen, und wenn wir uns ins Zeug legen für uns selbst und unser schönes Leben.